Digital Verkaufen
01.12.2025
5 Min. Lesezeit

Analog erdacht, digital angewendet – das FernUSG steht auf dem Prüfstand. Was 1976 sinnvoll war, passt 2025 nicht mehr, bremst digitale Innovation aus und gefährdet somit den Bildungs- und Digitalstandort Deutschland.
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR), ein unabhängiges, nicht wirtschaftlich orientiertes Beratungsgremium der Bundesregierung, fordert deshalb die Abschaffung.
Der Bundesverband der Fernstudienanbieter hält in seiner Pressemeldung vom 11.11.2025 dagegen: Er warnt vor wirtschaftlichen Interessen und sagt, der NKR sei von Marktlogik getrieben.
Doch stimmt das wirklich? Wir haben uns die Argumente angesehen, die gegen die Position des NKR vorgebracht werden, und vieles davon wirkt bei näherem Hinsehen nicht überzeugend.
Der NKR fordert die Abschaffung des FernUSG im Sinne von Fortschritt, Bürokratieabbau und Wettbewerbsfähigkeit.
Der Bundesverband hält dagegen: Verbraucherschutz dürfe nicht wirtschaftlichen Interessen geopfert werden.
Als unabhängiges Gremium ist es die zentrale Aufgabe des Normenkontrollrats, im Auftrag der Bundesregierung Gesetze systematisch auf unnötige Bürokratie und übermäßige Belastungen unabhängig von Partikularinteressen zu überprüfen.
Darüber hinaus steht die Forderung des NKR nach der Abschaffung des FernUSG im Einklang mit der Digitalstrategie der Bundesregierung sowie der Nationalen Weiterbildungsstrategie. Beide betonen: Deutschland muss Hürden für digitale Bildung abbauen und lebenslanges Lernen fördern.
Ein Gesetz, das digitale Lernangebote komplizierter macht als analoge Formate, widerspricht diesen Zielen fundamental.
Wer also Bürokratieabbau und Digitalisierung ernst meint, darf das FernUSG nicht verteidigen.
Die lautesten Gegner einer Abschaffung sind erfahrungsgemäß jene, die wirtschaftlich am stärksten vom Fortbestand dieses Gesetzes profitieren. Die zentrale Frage lautet also: Cui bono? Wem nützt das Gesetz?
Ein Blick auf die Struktur des Marktes zeigt: Es sind vor allem Anbieter klassischer Fernlernmodelle, die seit vielen Jahren etabliert sind und deren Geschäftsmodelle eng auf die bisherigen regulatorischen Vorgaben abgestimmt sind. Genau diese Anbieter stehen zunehmend im Wettbewerb mit modernen Formen der Wissensvermittlung; folglich Angeboten, die flexibler gestaltet sind und stärker auf lebenslanges Lernen, Schnelllebigkeit, individuelle Weiterentwicklung und digitale Kompetenzbildung ausgerichtet sind.
Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet jene Akteure, die vom Status quo wirtschaftlich am meisten profitieren, einem unabhängigen Gremium wie dem NKR nun wirtschaftliche Motive unterstellen.
Der Fortbestand des FernUSG schützt daher in erster Linie etablierte, aber auch antiquierte Geschäftsmodelle, jedoch nicht zwingend die zahlreichen Verbraucher – und benachteiligt all jene Anbieter, die den Mut haben, neue und innovative Wege zu gehen.
Bis zum Urteil des OLG Celle 2023 war das Gesetz weitestgehend in Vergessenheit geraten und das war vermutlich sein größter Beitrag zum Bürokratieabbau.
Solange das FernUSG im Dornröschenschlaf lag, konnten neue Anbieter und innovative Bildungsformate den deutschen Bildungsmarkt bereichern. Der überbordende Bürokratieaufwand, den das FernUSG vielen Anbietern abverlangt, bewirkt jedoch genau das Gegenteil: weniger Produktvielfalt, mehr Konzentration auf wenige große Anbieter und einen Rückschritt für Aktualität in der informellen Bildung. Der internationale Ländervergleich (mehr dazu in späteren Kapiteln) zeigt, dass moderne Formen der digitalen Wissensvermittlung bzw. der informellen Bildung einen signifikanten Mehrwert erzielen und den jeweiligen Bildungsstandort stärken.
Die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) beschäftigt rund 30 Mitarbeiter.
Bis zum Urteil des OLG Celle vom 01.03.2023 war die Behörde kaum jemandem bekannt. Die Zahl der tatsächlich zugelassenen Kurse ist verschwindend gering, während die Zahl der theoretisch zulassungspflichtigen Angebote in die Hunderttausende geht.
Und doch: Trotz dieser Diskrepanz war der Markt nie dysfunktional – eben weil er spätestens seit Beginn der 2000er Jahre durch andere Gesetze bereits ausreichend reguliert wurde.
Natürlich gibt es, wie in jeder Branche, einzelne schwarze Schafe. Aber strukturelle Missstände im Fernunterricht, die eine Sonderregelung rechtfertigen würden? Fehlanzeige.
Die eigentlichen Herausforderungen traten erst auf, seit das FernUSG durch das Urteil aus Celle wieder ins Rampenlicht gerückt wurde:
Seitdem dient das FernUSG vor allem als äußerst lukrative Einnahmequelle für bestimmte Rechtsanwälte, die das Gesetz nach dem Urteil für sich entdeckt haben und seither - mal mehr, mal weniger erfolgreich - versuchen, selbst die absurdesten Anwendungsfälle vor deutschen Gerichten als zulassungspflichtig durchzusetzen.
Die Folge? Massive Rechtsunsicherheit und eine Vollbremsung der Digitalisierung informeller Bildungsangebote.
Wie groß müsste eine Behörde sein, um die Masse an Kursen tatsächlich zu prüfen und was würde das kosten?
Allein auf den bekannten Lernplattformen sind heute zehntausende deutschsprachige Kurse verfügbar.
Selbst wenn nur ein Bruchteil davon - sagen wir 50.000 Angebote - formell zulassungspflichtig wäre, bräuchte die ZFU wohl mehrere hundert Mitarbeiter, um diese Menge auch nur einmal jährlich zu bearbeiten.
Mit den derzeitigen Kapazitäten der Behörde würde die vollständige Prüfung aller Kurse, selbst unter optimistischen Annahmen, mehr als ein Jahrzehnt dauern. Und das ohne jede Gewähr, dass die Zahl der Angebote nicht schon im nächsten Jahr erneut explodiert.
Hinzu kommt: Wenn das Gesetz konsequent angewendet würde, müsste die ZFU weltweit tätig werden – denn auch internationale Anbieter wie Udemy, Coursera oder LinkedIn Learning verkaufen an deutsche Kunden. Ganz zu schweigen davon, dass im Grunde jede Organisation und jedes Unternehmen, das Online-Kurse produziert, im Zweifelsfall darunter fällt.
Im Sinne der Gleichbehandlung müssten also auch deren Kurse geprüft und zugelassen werden. Der dafür nötige Personal- und Kostenaufwand wäre schlicht astronomisch und nur unter Aufwendung erheblicher Haushaltsmittel finanzierbar.
Können und wollen wir uns das in einer Zeit, in welcher uns ein noch nie dagewesenes Haushaltsloch droht, wirklich leisten?
Das häufigste Argument lautet: Das FernUSG schütze Verbraucher.
Doch das stimmt nur auf dem Papier.
Ausgerechnet dort, wo heute am lautesten behauptet wird, das Gesetz schütze Verbraucher - bei unseriösen Coaching-Angeboten - greift es gar nicht. Diese finden zumeist überwiegend synchron (also nicht zeitversetzt, sondern live) statt und sind damit gar nicht vom Anwendungsbereich des Gesetzes umfasst.
Verbraucher sind zudem spätestens seit Anfang der 2000er Jahre durch andere Regelwerke geschützt: das BGB, das UWG oder die Preisangabenverordnung.
Durch die Vorschriften des allgemeinen Vertragsrechts und des Verbraucherschutzes sind Verbraucher also längst auch so in der Lage, ihre Rechte durchzusetzen. Dafür braucht es weder das FernUSG noch die vielen Steuergelder, die aufgewandt werden müssen, um dieses Bürokratiemonster am Laufen zu halten.
Ein weiteres Argument lautet: Das FernUSG sichere Qualität.
In der Praxis prüft das Zulassungsverfahren jedoch vor allem Formalien: etwa, ob didaktische Standards eingehalten werden.
Aber macht das einen Kurs automatisch besser? Ist ein Führungstraining hochwertiger, nur weil es einem bestimmten Lehrschema folgt?
Echte Qualität zeigt sich in Ergebnissen, in Lernerfolgen, Zufriedenheit und Praxistauglichkeit.
Ein solches Vorabprüfverfahren misst all das nicht. Es entscheidet über Qualität vor der Durchführung, statt sie anhand tatsächlicher Ergebnisse nach der Durchführung zu bewerten.
Das ist Bürokratie in Reinform: Kontrolle statt Vertrauen, Papier statt Wirkung.
Mit dem Internet reguliert sich Qualität heute zudem wirksamer als jede staatliche Vorabprüfung. Nutzer können Erfahrungen anderer einsehen, unabhängige Bewertungen vergleichen und sich durch hunderte authentische Stimmen ein reales Bild von einem Angebot machen. Transparenz entsteht nicht mehr auf dem Papier, sondern in der Praxis: durch Empfehlungen, Rezensionen, Lernerfolge und echte Resultate. Schlechte Anbieter verlieren sofort an Sichtbarkeit, während gute Angebote sich durch nutzergeneriertes Vertrauen durchsetzen. Der Markt misst Qualität täglich neu und zwar anhand realer Erfahrungen, nicht anhand theoretischer Vorgaben.
Wirklich beruflich relevante Qualifikationen wie Studiengänge, IHK-Abschlüsse oder andere anerkannte Zertifikate sind ohnehin durch eigene, strenge Akkreditierungs- und Prüfverfahren geschützt. Eine zusätzliche Doppelregulierung ist dort nicht notwendig und schlicht Geldverschwendung.
Die Digitalisierung schreitet rasant voran, lebenslanges und flexibles Lernen wird zu einem zentralen Erfolgsfaktor und nur eine breite Produktvielfalt kann die gesamte Bandbreite digitaler Kompetenzen abdecken.
Aktualität ist unverzichtbar in einer schnelllebigen Welt und konsequenter Bürokratieabbau erklärtes Ziel der Bundesregierung.
Doch Deutschland nutzt das Potenzial digitaler Bildungsangebote bei Weitem nicht aus.
Nur 8,9 % der Deutschen nahmen 2023 an einem Online-Kurs teil. In Finnland und den Niederlanden sind es über 29 Prozent – Länder, die sowohl bei der Digitalisierung (EU, 2024) als auch beim Bildungsniveau (OECD, 2023) Deutschland deutlich voraus sind.
Das ist nicht nur eine Frage der Statistik, sondern auch eine Frage der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland.
Während andere EU-Staaten auf moderne Verbraucherschutzgesetze und Selbstverpflichtungen setzen, klammert sich Deutschland an ein Sondergesetz, das längst zur einer veralteten und obsoleten Marktzugangshürde geworden ist.
Ein Anbieter aus den Niederlanden oder Finnland, der Online-Kurse in Deutschland anbieten will, muss ein deutsches Zulassungsverfahren durchlaufen; etwas, das mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) kaum vereinbar ist.
Die Folge: Deutschland wird unattraktiv für internationale Anbieter ebenso wie für deutsche EdTechs, die global wachsen wollen. Ein Paradox im europäischen Binnenmarkt, der eigentlich auf Harmonisierung und Wettbewerbsfähigkeit ausgelegt ist.
In einer Welt, in der:
unterscheidet Deutschland immer noch zwischen Präsenz- und Fernunterricht, wie 1976.
Präsenzunterricht braucht keine Zertifizierung, digitaler dagegen schon. Und nicht nur Fernstudiengänge, sondern auch zahlreiche moderne Lernangebote unterliegen plötzlich der Zulassungspflicht.
Dabei existieren längst umfassende Verbraucherschutzgesetze, die alle relevanten Risiken abdecken, vom Widerrufsrecht über Wucher bis zur Leistungserbringung.
Das FernUSG ist kein notwendiger Verbraucherschutz mehr, sondern ein regulatorisches Relikt, das die digitale Transformation ausbremst.
Das FernUSG stammt aus der Zeit, als Lernhefte per Post verschickt wurden. Es ist weder technologieneutral noch zeitgemäß und benachteiligt digitale Lernformen systematisch gegenüber analogen. Die Frage, ob der Gesetzgeber durch das Aufrechterhalten dieser Vorschriften die Anbieter eher im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art. 3 GG oder diese doch eher in ihrer Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG unverhältnismäßig beschränkt, wird gewiss auch das Bundesverfassungsgericht in nicht allzu ferner Zukunft zu entscheiden haben.
Statt Schutz zu bieten, erzeugt das FernUSG heute vor allem Rechtsunsicherheit, Wettbewerbsverzerrungen und Innovationshemmnisse. Ein modernes Recht sollte genau das Gegenteil bewirken.
Das FernUSG war 1976 ein Fortschritt, heute ist es ein Rückschritt.
Wer Digitalisierung, Innovation und Verbraucherschutz ernst nimmt, muss sich die Frage stellen, ob dieses Gesetz überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat. Die Klärung liegt nun bei der Politik.
Klar ist jedoch: Es braucht eine wirtschaftsfreundliche Reform, die den Anwendungsbereich präzise eingrenzt und auch die vollständige Abschaffung als realistische und logische Konsequenz offenlässt.
Unsere Forderungen zum FernUSG
Das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) stammt aus dem Jahr 1976 – einer Zeit, in der Lerninhalte noch als Papierner Lehrbrief per Post verschickt wurden. Nun muss das Gesetz endlich an die digitale Realität und den heutigen Verbraucherschutz angepasst werden. In diesem Artikel erklären wir die Herausforderungen und was wir von einer möglichen Reform fordern.

Autorin
Team Lead PR & Reputation